Gottesdienstraum Bellnhausen

In Bellnhausen treffen wir, was die Gottesdienststätte angeht, auf einen nicht alltäglichen Zustand: Die Kirche steht mitten im Dorf, wird aber nicht gottesdienstlich genutzt, die Gottesdienste finden dafür in einem Raum des Bürgerhauses, der früheren Schule, statt. Diesem Umstand wollen wir im Folgenden etwas nachgehen. Dabei spüren wir nicht der „Urgeschichte" nach, das geschieht an anderer Stelle, sondern setzen mit unseren „Notizen" durchaus in unserem Jahrhundert ein.

Im Jahre 1908 wurde das Bellnhäuser Kirchlein von dem Kirchenbaumeister Hofmann aus Wiesbaden eingehend begutachtet: Trotz der bescheidenen Abmessungen (Gebäudegröße ca. 4,00 x 6,00 m) ist die
Kapelle ihrer Lage - hart an der Ortsstraße auf schönem Terrain - und der originellen und geschickten Dachreiteranordnung wegen beachtenswert. Durch eine allgemeine „gründliche" Herstellung im Jahre 1903 hat das Gebäude seinen malerischen Reiz und sein historisches Gepräge fast gänzlich eingebüßt.
Die alten Fenster mit den Bleiverglasungen wurden beseitigt, die Öffnungen vergrößert und mit kahlen Sprossenfenstern versehen. Die alte Eingangstür erhielt einen Besatz in Form einer modernen Stubentür. Der Fußboden des Innenraumes wurde mit wenig schönem Zementpflaster belegt und das Holzwerk geschmacklos gestrichen. Leider ist auch das Holzwerk der Außenwände mit einem Kalkverputz überzogen worden. Den bei der Besichtigung mit anwesenden Gemeindegliedern (sic!) erklärt der Kirchenbaumeister wie diese Kapellenherstellung hätte erfolgen müssen, um weniger kostspielig zu sein und wie der historische Charakter des Gebäudes besser hätte gewahrt werden können."
 
Auch damals also dachte man „modern" und hielt die „Herstellung" der Kirche wie oben beschrieben wohl für eine famose Idee. Aber die Zeiten ändern sich; die damalige Verschlimmbesserung ist heute denkmalschutzwürdig. Sie war somit auf dem neuesten Stand, die alte Kirche, aber ohne Heizung und ohne Orgel bzw. Harmonium. Die kleine Glocke wurde per Hand geläutet. In dem oben beschriebenen Zustand blieb sie auch zunächst; im Jahre 1951 wurde bei einer erneuten Besichtigung durch den Vertreter des Landeskonservators der Einbau einer Fußbodenheizung angeregt, der allerdings nicht zustande kam.
Das äußerliche Erscheinungsbild des Kirchleins wurde mit der Zeit immer trauriger, mit ihm auch der bauliche Zustand. Es wurde mir zugetragen, dass ab Mitte der fünfziger Jahre das Glockenseil verlängert werden musste, damit man die Glocke von außen bedienen konnte: durch die Schwingungen lösten sich immer wieder Putzteile von der Decke und fielen herunter, was für den Küster nicht ungefährlich war. Alles das war bestimmt nicht gewollt, aber die Bellnhäuser Gemeinde war finanziell nie in der Lage, größere bauliche Maßnahmen durchzuführen.

Gegen Ende der fünfziger Jahre reifte angesichts des sehr baufälligen Zustandes der Kirche im Gladenbacher Kirchenvorstand und in der Bellnhäuser Bevölkerung der Entschluss, eine neue Kirche zu bauen und die alte abzureißen. Viele Pläne wurden diskutiert, darunter sogar die Idee, zwischen Bellnhausen und Runzhausen eine neue Kirche für Belln- Runz-, Rachels- und Sinkershausen zusammen zu bauen, nebst einem Pfarrhaus direkt daneben, wie einem undatierten Zeitungsbericht zu entnehmen ist. Dieser Plan wurde jedoch nicht in die Tat umgesetzt, genausowenig wie das Vorhaben, neben dem Bellnhäuser Friedhof eine Kapelle zu bauen. Dafür waren im Jahre 1961 in Bellnhausen immerhin 8750.- DM (!) Spenden gezeichnet worden. Es lag auch ein Beschluss des Gladenbacher Kirchenvorstandes vor, der jedoch aus verschiedenen Gründen nicht mehr zur Ausführung kam, bis es Mitte der sechziger Jahre nicht mehr möglich war. So blieb es bei dem alten Zustand: die Gottesdienste wurden in der Schule gefeiert, die alte Kirche verfiel.
 
Nach einer Notiz von Pfr. Gensch, des ersten Runzhäuser Pfarrers, der von 1961 bis 1966 amtierte, wurden die Sonntagsgottesdienste bereits seit 1955 in der Schule gefeiert. Damals war übrigens nur alle vier Wochen „Kirche", weil Bellnhausen noch mit vielen anderen Dörfern zur Gladenbacher Pfarrei 1 gehörte. Erst 1961 wurde für Runz- Rachels- und Bellnhausen eine Pfarrvikarsstelle geschaffen, die 1970 zur Pfarrstelle erhoben wurde. Die Kirchengemeinde Runzhausen, zu der Bellnhausen nun gehört, wurde 1966 offiziell aus der Kirchengemeinde Gladenbach ausgegliedert.
Bis 1965 fanden die Kirchenvorstandssitzungen noch in Gladenbach statt. Mit der Entstehung der Kirchengemeinde Runzhausen legte jedenfalls Bellnhausen als eines von drei anstatt von über 10 Dörfern an Gewicht zu. Von da ab beginnt das Gemeindeleben in den drei Dörfern sich zu entwickeln und zu blühen und auch die baulichen Aktivitäten gewinnen an Zielstrebigkeit.

Ende der sechziger Jahre zeichnete sich die Schließung der Bellnhäuser Schule und der Umbau zum Dorfgemeinschaftshaus ab. In dieser Situation gab die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau 44000.- DM zum Umbau dazu und die Bellnhäuser Gemeinde erhielt endlich ein festes Domizil, den gottesdienstlichen Raum im Bürgerhaus, wie er auch heute noch genutzt wird. Ein entsprechender Vetrag trat am 1.1.1972 in Kraft.

1975 wurden die Baulichkeiten durch einen Glockenturm komplettiert, zu dem die Kirchengemeinde Runzhausen 5000.- DM dazugab. Er gehört der Stadt Gladenbach als Rechtsnachfolgerin der Gemeinde Bellnhausen und ist der Kirchengemeinde in Pacht zu eigen.
Für die alte Kirche sah es immer düsterer aus, einem undatierten Zeitungsbericht aus den siebziger Jahren war zu entnehmen, dass bei einer Bürgerversammlung eine „überwiegende Mehrheit" für den Abriss war. Die Renovierung lohne sich nicht und einer wies darauf hin, die Kirche habe überhaupt keinen historischen Wert.

Das Kirchlein wurde schließlich doch noch vor Verfall und Abriss gerettet. Der Förderkreis Alte Kirchen nahm es 1979 in Eigentum und Obhut und renovierte es zunächst soweit, dass es wieder anschaubar war.
Die Wiederherstellung des „Innenlebens" ist der nächste Schritt, denn es soll auch wieder seiner ursprünglichen Nutzung zugeführt werden, wie es im etwas trockenen Amtsdeutsch heißt. Das heißt: es soll wieder Mittelpunkt der Kirchengemeinde in Bellnhausen werden, der Ort, wo Gottes Wort Menschen erreichen will. Bis dahin ist noch viel Arbeit nötig, wenn auch in Verhandlungen zwischen Kirchengemeinde, Förderkreis und Denkmalschutz schon große Fortschritte erzielt worden sind.
Ins direkte Eigentum der Kirchengemeinde wird sie nicht übergehen, aber sie soll wieder „unsere Kirche im Dorf" sein und sie könnte durchaus ein echtes Schmuckstück werden. Unsere Notizen zur neueren Kirchengeschichte sind nun fast am Ende.
Sie sind natürlich nicht vollständig. Es bleibt jedem und jeder selbst überlassen, sich auf das eine oder andere einen Reim zu machen. Wir sehen, dass sich Kirchengeschichte nicht im luftleeren Raum abspielt, sondern dass sie immer teilnimmt an Wohl und Wehe der ganzen Gemeinschaft, Ideen hineingibt und auch manches übernimmt.
Das Wichtigste sind jedoch nicht die Baulichkeiten, die in Bellnhausen zugegebenermaßen eine besonders verwickelte Geschichte haben. Das Wichtigste ist die Gemeinde selbst, die Menschen, die glauben und handeln und feiern in Gottes Namen. Sie tragen das Evangelium durch die Zeiten. Ohne sie wäre Kirchengeschichte nur die Geschichte von Steinen.
So aber befolgen wir einen Rat aus dem 1. Petrusbrief: Ihr aber als die lebendigen Steine baut euch auf zu einem geistlichen Haus!

Verfasst von Pfr. Olaf Schmidt