Kirche Runzhausen

Die Kirche zu Runzhausen wurde 1781 von Georg Blecher erbaut. Sie steht in der Mitte und gleichzeitig an einem der höchsten Punkte des "alten Dorfes". Seit ihrem Bestehen wurde sie mehrmals renoviert. Hier findet jeden Sonntag ein Gottesdienst statt (siehe Veranstaltungen).

„Durch Gottes Hilff und starke macht/ ist diese Kirch zustand gebracht/ lasset uns zusammen treten und zu gott dem höchsten beten/ komm gott schaffer heiliger geist. 
Georg Blecher von Achenbach Werckmeister den 16. Mey anno 1781“

Diese Inschrift des Erbauers unserer Kirche ist in den Balken über der Eingangspforte eingehauen.

Seit über 200 Jahren betreten Menschen diese Kirche zu Gottesdienst, Andacht, Gebet und um Stille zu finden. Wir wissen dabei, dass diese Kirche nicht die erste Kirche Runzhausens ist. Sie hat mindestens eine Vorgängerin gehabt. Dies belegen die Amtakten im Staatsarchiv sowie eine Karte des Landvermessers und Kartographen Daniel Merian aus dem Jahre 1703, in der neben den Hausgesäßen eine Kirche eingezeichnet ist. In den Amtsakten (ein Nachtrag zum 1777 angelegten Brandregister aus dem Jahre 1781) lesen wir: „Anno 1781 die alte Kirche abgebrochen und neu erbaut, alter Wert 200 Gulden, neu 1000 Gulden". Das war damals eine ansehnliche Summe für ein kleines Dorf und es wird vermutet, dass sich die Bürger damit auch etwas übernommen hatten. So enthält die Schulgeschichte ein Schreiben des damaligen Runzhäuser Schulmeisters Wagner, der mit dem besser besoldeten Weidenhäuser Schulmeister tauschen will. Die Gemeinde Runzhausen könne ihren Lehrer nicht besser besolden, da die „alte Kirche abgerissen und neu aufgesetzt..." Für den Weidenhäuser Lehrer sei ein Tausch nach Runzhausen insofern von Vorteil, da er ja seine Frau aus Runzhausen habe und neben der Schulmeisterei dort auch noch der Landwirtschaft nachgehen könne. Der Tausch kam zustande, und der Weidenhäuser Lehrer gab dem Haus seiner Runzhäuser Schwiegereltern den Namen („Schulmestersch"). Der Standort der vor 1781 abgerissenen Kirche lässt sich heute nicht mehr ausmachen. Der Lehrer und Verfasser der Dorfchronik, Preis, erfuhr von den alten Leuten, die es ihrerseits von den Großeltern übernommen hatten, dass die Kirche „im Garten von Dairisch” (Untere Dorfstr. 6, Jörn) gestanden habe. Für diesen Standort spricht auch der Name "Ayll hinter der Kirchen". Vermutlich hat es sich bei diesem Bau ebenfalls um eine Fachwerkkirche gehandelt, die wohl wesentlich einfacher gebaut war als die neue Kirche und zudem total baufällig gewesen sein muss, wie wir aus dem Brandversicherungswert von 1777 schließen können. Nachdenklich stimmt noch eine Rubrik aus dem Gemeindehaushalt des Jahres 1779 oder 1782. „Für Reparaturen an der Kirche: 159 Gulden" (Der Schulmeister erhielt pro Jahr 31 Gulden). Sollte die Jahreszahl 1779 die Richtige sein — warum soviel Geld für eine alte Bruchbude? Stimmt 1782, was wohl näher liegt, was war faul an der neuen Kirche? Kurzum, nachdem die Runzhäuser ihre „alte Kirche abgebrochen und neu erbaut" hatten, pfiffen sie in finanzieller Hinsicht für die folgenden drei Jahrzehnte erstmal auf dem letzten Loch. Es kam noch schnell eine Kanzel in die Kirche - übrigens eine hervorragende, original-Hinterländer Intarsienarbeit aus der Zeit um 1780. Die Empore und Bänke erhielten einen Lasuranstrich und dann war Schluss. Ach ja, den Altar hätten wir fast vergessen. Warum es 1780 noch ein reiner Barockaltar sein musste, lässt sich am ehesten damit erklären, dass man zu der Zeit auf dem Lande noch nicht bereit war das in den Residenzen bereits ausklingende Rokoko schon mitzumachen.
  
Nach einer Pause von 3 Jahrzehnten wurde es dann wieder lebendig in der Kirche. Die Staffiermaler Georg Ernst Justus und Sohn Johann August Kaiser von Gladenbach hatten ihren Einzug gehalten. Ihnen verdanken wir die Frakturinschriften mit den herrlichen Pflanzenornamentiken an der Ost- und Westwand sowie an der Nordwand unterhalb der Empore. Gleichzeitig haben sie die Emporen und Bänke mit einem smalteblauen (auch schmalteblau, ein Nebenprodukt der Glasgewinnung) Anstrich versehen, der die Tonvorlage für den heutigen Anstrich abgab. Vater und Sohn Kaiser waren keine Unbekannten im damaligen hessisch-nassauischen Raum. Bevor sie nach Runzhausen kamen sind sie in Offdilln, Dillbrecht, Salzböden und Altkirchen nachgewiesen. Ihr Selbstbewusstsein entsprach der Qualität ihrer Arbeit und so hinterließen sie uns bis auf den heutigen Tag an der Ostwand, direkt hinter dem Altar ihr Autogramm in Form einer Inschrift:

„Zur Ehre Gottes ist diese Kirche, im Jahre 1781 neu erbauetworden, im Jahre 1812 von Grund aus Renovieret, Bey den damaligen Herrn Oberpfarrer N: Hüffel, zweiter Pfarrer Herr N: Kolb, Schulteis Andreas Koch, Kirchenältester Jost Koch, Kirchenältester Johann Georg Wagner zugleich Vorsteher, Johann Henrich Vorsteher Joh: Peter Koch, Borgemeister
Fertig am 21. Juli, Maler und Weißbinder Georg Ernst Justus Kaiser, und dessen Sohn Johann August Kaiser von Gladenbach".

Runzhausen muss damals fest in den Händen des „Koch-Clans" gewesen sein. Schultheis Andreas Koch: „Däirisch", Kirchenältester Jost Koch: „Äich", Kirchenältester Johann Georg Wagner: „Berg" Vorsteher Johann Henrich: entweder Johann Hemrich („Dingeses') oder Johann Heinrich Wagner oder auch ein Johann Heinrich Koch. Joh: Peter Koch: vermutlich „Weils". Die damaligen Gladenbacher Pfarrer waren 1. Johann Jost Ludwig Hüffel (1808 - 1817) und Johann Heinrich Kolb (1810 - 1818, 2. Pfr.) Das Werk von Vater und Sohn Kaiser hatte in unserer Kirche über 100 Jahre Bestand, ehe es 1920 im Zuge der Elektrifizierung und „Schornsteinisierung" unserer Kirche restlos übertüncht und teilweise auch zerstört wurde. Die Vorarbeiten zu einer weiteren Neuanmalung im Jahre 1950 förderten den Spruch hinter dem Altar noch einmal zutage und Lehrer Preis nutzte die letzte Gelegenheit, den Wortlaut für uns festzuhalten, ehe die linke Hälfte desselben durch Neuverputzung restlos zerstört wurde. Von dieser Zeit bis zu der gelungenen Sanierung 1983 war ein Interesse an einer Gestaltung der alten Kirche nicht vorhanden. Das braucht den Runzhäusern jedoch niemand vorzuwerfen, es entsprach schließlich dem Geist der Zeit störendes alte Gemäuer erst dem Verfall preiszugeben und später einzuebnen.

 

Nach der Sanierung von 1983

„Sieht man vom Markt in die Kirche hinein, da ist alles dunkel und düster, und so sieht's auch der Herr Philister"

So heißt es in einem Gedicht von J.W. Goethe. Nun, man musste bis vor einem Jahr kein Philister sein, um bei einem Blick durch die Kirchentüre ins Innere, Dunkelheit, Düsternis, Staub und Verfall einer alten Dorfkirche erkennen zu können. Feuchtigkeit ließ den Putz abbröckeln, Emporen und Bänke dösten grau in grau, Scheiben fehlten, der Altar hingepfropft wie ein überdimensionaler Blumenhocker mit einer mottenzerfressenen Decke obendrauf. Rechts davon rostete ein alter Ofen und davor das staubgepuderte alte Harmonium, die Intarsienkanzel erstickte unter einer Firniskruste, der Rest grau-gelb getüncht. „Da haben die Amis '45 vergessen mit 'nem Panzer gegenzufahren, dann wär'n wir das alte Werk heut' los", soll ein alter Runzhäuser dazu gesagt haben. Nun, das "alte Werk" ist inzwischen eine der schönsten Fachwerk-Dorfkirchen Hessens und seit dem 3. Advent 1983 erneut der Mittelpunkt des Gemeindelebens einer prosperierenden Gemeinde. Anfängliche Skepsis und Verständnislosigkeit ist längst berechtigtem Stolz und der Freude gewichen, „zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn", wie eine der vielen während der Sanierung freigelegten Wandinschriften besagt. Unter der Führung des Architekten Franz und dank des Engagements des Restaurators Gramberg vollzog sich in wenigen Monaten die Wandlung Aschenputtels. Zunächst wurde die Eingangstreppe nebst den straßen-und eingangsseitigen Grundmauern saniert, wobei das straßenseitige Mauerwerk aus Feldstein bewahrt werden konnte. Zur westlichen Eingangsseite hin ersetzte man den alten Sockel durch stabiles Mauerwerk aus Diabas. Auf diese Grundmauern fügen sich harmonisch der verschieferte Westgiebel und das rotbraune Fachwerk zur Straße hin. Im Kircheninnern hatte die dreiseitige Empore auf stabilen sechskantigen Eichenpfosten mit verstärkter viereckiger Basis ruhend die Zeitläufe fast unbeschädigt überstanden, dagegen waren die alten, einfach geschreinerten Bänke mit senkrechter Rückenlehne und kurzem Sitzbrett für normalbeleibte Kirchenbesucher nicht mehr „besitzbar" und mussten durch körpergerechtere Stücke ersetzt werden. Dabei konnten noch 4 Seitenteile (Wangen) der alten Bänke mit ihrer schlichten Form (zum oberen Abschluß zweifach gegenläufig gekehlt) wiederverwendet werden (je die beiden ersten neben der Eingangstür). Die übrigen Wangen wurden nachgebaut. Die Empore wurde nord- und südseitig mit Bänken versehen, die auf einer erhöhten Basis ruhen, sodass aus der ursprünglichen reinen Stehempore eine Sitzempore geworden ist. Emporenbrüstung, Pfosten und Bänke sind nunmehr in verschiedenen Blautönen, dem ursprünglichen Befund gemäß, angemalt. Die je drei Fenster der Nord- und Südwand oberhalb der Empore wurden analog der alten Fenster an der Nordwand nachgebaut. Sie sind insgesamt mit Bleiverglasung in Wabenform versehen. Reste der alten Sechskantverglasung wurden soweit möglich wiederverwandt. Ein kleines Fenster an der Westwand wurde zum Schutze der dahinter befindlichen Orgel geschlossen, das in der Mitte der Ostwand befindliche Chorfenster gestaltete Erhardt Jakobus Klonk zu dem Thema „Heiliger Geist — Pfingsten". „Das weiße Glas zeigt den Strom der Gnade, die in das darunter stehende dunkelbraune Gefäß fällt und es zum überlaufen bringt, weil es mehr ist, als der Mensch fassen kann. Ein quadratischer roter Fleck — rot ist die Farbe der Liebe — im Mittelpunkt des Überlaufens steht für die Kraft, Wärme und Liebe weiterzugeben. Umrahmt wird das Motiv von einem Goldgrund, der als das Symbol der Göttlichkeit gilt", erklärte Klonk den Runzhäusern. „Der stilisierte Vogel in der Mitte des weißen Stromes in der oberen Bildhälfte weist auf die Taube des Noah hin, weniger ist dabei an den Raben des Noah gedacht, der auf Nimmerwiedersehen verschwand," erläuterte Pfarrer Peter Voß im Anschluß an den Künstler. Die im vorigen Jahrhundert angebrachte Fensterlaibung aus Holz wurde am Chorfenster entfernt, sodass die ursprüngliche Farbgestaltung des Putzes in rotbraun mit türkisem Kantstreifen wieder sichtbar ist. Getreu dem Kirchenbaugrundsatz, alte und funktionsfähige Teile bei Neubauten wiederzuverwenden, ruht die restaurierte Intarsienkanzel auf einer barocken, ehemaligen Emporensäule aus der evanglischen Kirche in Ewersbach. Die aus dem frühen 17. Jh. stammende Säule ist ein Geschenk des Architekten an die Gemeinde.

Schleierbretter mit Lilienornamenten unterhalb der Kanzel bilden einen harmonischen Übergang von der gedrehten Säule zu der im Prinzip achteckigen Kanzel. Die Kanzeltreppe führt nicht mehr, einer Hühnerleiter ähnlich, direkt aus der Sakristei heraus, sondern wendelt sich im rechten Winkel von der Sakristeitür ausgehend zum Kanzelpodium hinauf. Die gegenüber dem alten Zustand ca 70 cm erhöhte Kanzel bildet nunmehr mit dem Sandsteinaltar ein harmonisches Ensemble - zumal die 4 Baluster, die die Altarplatte tragen, ein Stück nach innen gerückt sind und der Altar insgesamt etwa 50 cm in den Kirchenraum hineinbewegt worden ist. Für fast täglich neue Überraschungen sorgte der Restaurator Gramberg bei seinem Bemühen, verschiedene Blumenmalereien mit biblischen Inschriften freizulegen und zu konservieren. Er beschreibt diese alten Arbeiten:
 
„Das Gestaltungskonzept des Malers wurde von Bibelsprüchen getragen. Die durch Längung der Buchstaben entstandene Strenge der Frakturschrift wurde durch unter die Sprüche gelegte Ornamente aufgelockert. Die Ornamentik ist noch der Rokokozeit verbunden; ein Muschelwerk in goldgelb wird in Rosen, Nelken und Tulpen aufgelöst. Die Malerei ist von feiner Zeichnung und wird von kräftigen Rottönen beherrscht". Insgesamt wurden 6 biblische Inschriften mit floralen Umrahmungen freigelegt, dazu noch eine Handwerkerinschrift mit Nennung der Honoratioren Runzhausens aus der Entstehungszeit aller Malereien, 1812. Mit Sicherheit gehört die Wiederentdeckung und Bewahrung der Wandmalereien zu den Höhepunkten der Sanierung unserer alten Dorfkirche.

 

Die Glocke aus dem Mittelalter

„Ist das nun der Gemüsemann oder der Eisenhändler?"— so fragte sich der neue Runzhäuser Pfarrer, als er zum erstenmal die Glocke seiner Gemeinde hörte: Ein gleichbleibend helles, dünnes Bimmeln aus der Gegend um die Kirche kurz vor Beginn des Gottesdienstes, der im Jahre 1982 noch im Gemeindesaal stattfand. Die Runzhäuser wussten es besser, es war die Kirchenglocke, seit 1781 per Hanfseil geläutet, derzeit von Küster Bruder. Das Alter der Glocke wusste niemand zu nennen, es war nur ein „leises Ding" und „wenn der Wind falsch steht, dann hört man's nicht mal bis zum Kleeberg" Die Gemeinde wäre ihr „leises Ding" am liebsten gegen eine kräftige neue Glocke oder noch besser zwei Glokken losgeworden. Da der Guss einer zweiten Glocke in der Tat zweckmäßig ist, erfolgte eine Untersuchung des Glockenturmes sowie der alten Glocke durch Sachverständige einer Glockengießerei. Die Überraschung der Experten war groß: „Es handelt sich um eine gut erhaltene Bronzeglocke von 1400 mit einem unteren Durchmesser von 420 mm, einer flachen Haube, oben enger im Durchmesser, leicht konische gerade Flanken und einem breit ausladenden Rand. Sie besitzt zwei fast gleich starke und gleich langanhaltende Untertöne („d” und „fis"), die ihr einen ausgeprägten Durterz-Charakter verleihen". Die alte Runzhäuser Glocke ist zugleich eine der ersten mittelalterlichen Glocken mit einer gotischen Minuskelinschrift, die die Entstehungszeit und Widmung angibt (MCCCC - 1400, JHS -Jesus). Der heute als zu dünn und leise empfundene Klang stellt das Nonplusultra der Glockentonkunst vor nahezu 600 Jahren dar. Möglicherweise mahnt und ermuntert die uralte Glocke schon seit dieser Zeit Menschen in Runzhausen und ordnet die Zeit. Ältere Einwohner erinnern sich noch sehr gut an die auf dem Kirchenspeicher befindlicheTurmuhr, deren Hammer zu jeder vollen Stunde auf die Glocke anschlug. Vermittels eines Schlaghammers, gegen den die in den Jochlagern bewegte Glocke während des Läutens anschlug, wurde bereits im Mittelalter unsere Glocke geläutet - der eingehängte Läuteklöppel kam später auf. Auch nach der Stilllegung der Turmuhr wussten die Runzhäuser bis vor kurzem noch beide Techniken miteinander zu kombinieren! Der Eisenhammer ist inzwischen, da er trotz Lautverstärkung die Glocke schädigte, ein Stück weit entfernt. Das Glockenläuten ordnete noch bis in die 30er Jahre das tägliche Leben in unserem Dorfe. Je nach Jahreszeit fand das Früh- oder Wachläuten um 5 oder 6 Uhr statt. Um 11 Uhr erinnerte die Glocke daran, dass die Mittagszeit nahte und um 12 Uhr wurde zum Essen geläutet. Im Anschluss an das Essengeläute wurden außerdem noch die Backhauslose gezogen und nach dem Feierabendläuten hatten die Kinder auf dem Hofe der Eltern zu sein. Durch Glockenläuten wurden Todesfälle vermeldet und erhielten die Verstorbenen das letzte Geleit zum Friedhofe. Selbstverständlich wurde auch das Neue Jahr eingeläutet, und im Falle von Feuersbrünsten und Katastrophen warnte und rief die Glocke die Dorfgemeinschaft zur Hilfe. Zur Zeit wird die Glocke außer zu allen Gottesdiensten sowie während des Vaterunsers im Gottesdienst noch als Sterbeglocke an dem auf den Tod folgenden Vormittag zwischen 8:00 und 9:00 Uhr und vor Beerdigungen geläutet. Das Läuten der Tageszeiten als Mittags- und Abendläuten wird ebenfalls noch von der Glocke übernommen.

Von Eigenfriedhof und Grabmachen - Die alten Friedhöfe um die Kirche

In der Sakristei unserer Kirche befindet sich das Bruchstück eines alten Grabsteines, der die folgenden Worte freigibt: „Hier Ruhet der Ehrsame und bescheidene werner frey gewessener Einwohner zu Ronßhausen Anno 1667 den 26. M ..." (dann bricht die Schrift ab). Dieser Stein, der im Herbst 1983 bei der Sanierung der Kirche unter verrottetem Gemäuer entdeckt wurde, ist der kompakteste Beweis dafür, dass das Dorf Runzhausen bereits im 17. Jahrh. einen eigenen Friedhof, einen sog. „Eigenfriedhof" besessen hat. Wer war dieser Werner Frey? Aus den Akten des Staatsarchivs ergibt sich, dass im Jahre 1570 Philipp Frey einen Lehnshof der Martinskirche bewirtschaftete („Flips"). Unter seinem Nachfahren Virgilius Frey wurde dieses Kirchenlehen in den Jahren zwischen 1622 und 1634 (vermutl. aber kurz nach 1622) unter die Söhne Hans („Hans") und Werner (✝1667) aufgeteilt („Flips"). In ihrem Kern blieben diese beiden Höfe trotz weiterer Teilung bis auf den heutigen Tag erhalten und die Nachfahren des Hans und Werner Frey leben mitten unter uns. Es spricht für den praktischen Sinn der „Ronßhäuser", wie der damaligen Geschlechter überhaupt, dass sie einen schon alten, aber akkurat behauenen Stein unter die Grundsteine ihrer Kirche reihten. Wir dürfen annehmen, dass der Grabstein des Werner Frey von dem ersten Runzhäuser Friedhof stammt, der, wie Knochenfunde in der Vergangenheit immer wieder belegten, direkt unterhalb der alten Kirche angelegt war („Nauhaus"). Die Anlage dieses ersten Friedhofes in unserem Dorfe hängt mit Sicherheit mit der Bevölkerungsentwicklung der letzten 500 Jahre zusammen. Die Einwohnerzahl (damals: Zahl der „Hausgesäße” mal 6) galt nämlich als Richtschnur für die Errichtung eines Eigenfriedhofes in einem Kirchspieldorfe. Da Runzhausen im Verlaufe seiner Geschichte zweimal — erstmals um 1570, ein zweites Mal um 1730 — seine Bevölkerung mehr als verdoppelt hat, dürfen wir in Verbindung mit dem vorgefundenen Grabstein davon ausgehen, dass unser Dorf seine Toten seit ca. 1570 auf einem eigenen Friedhof beerdigt hat. Gleiches ist in ähnlicher Weise für Römershausen und für Weidenhausen belegt. Alle übrigen Dörfer des Kirchspieles Gladenbach hatten ihre Toten bis zum Jahre 1810 in Gladenbach zu beerdigen. Dass ein Eigenkirchhof in einem großen Dorfe für das brüderliche Miteinander der beiden Gladenbacher Pfarrer nicht immer unproblematisch war, lässt sich im Salbuch (= Vorläufer des heutigen Grundbuches) des Diakons Conrad Starck aus dem Jahre 1733 nachlesen. Dem ersten Pfarrer, der gleichzeitig Pfründeninhaber war, standen damals die Einkünfte aus der gesamten Pfarrei zu, wogegen der 2. Pfarrer (Diakon) die Dörfer zu versorgen hatte und aus den Einkünften für seine dortigen Amtshandlungen seinen Lebensunterhalt versehen musste. Wahrscheinlich beanspruchte der erste Pfarrer sämtliche Beerdigungsgebühren im Kirchspiel ohne Rücksicht auf Eigenfriedhöfe für sich, und Conrad Starck, der ja schließlich die Arbeit hatte, besaß genug Courage, dem entgegenzutreten. So schreibt er im Salbuche von 1733, er habe sich „mit dem Gladenbacher Pfarrer Monats Marti wegen der Einnahmen bezüglich der Erbkirchhöfe zu Weidenhausen, Römershausen und Runzhausen verglichen". Wahrscheinlich handelt es sich bei dem von Conrad Starck erwähnten Erbkirchhof zu Runzhausen bereits um jenen ersten Friedhof. Auf den Grundstücken von Nauhaus/Roths hat man nämlich bei Ausschachtungsarbeiten im Jahre 1939 Überreste von Toten gefunden. Ein zweiter Friedhof wurde nach 1781 unterhalb der heutigen Kirche (Neckels Garten) angelegt. Die Errichtung eines dritten Friedhofes ca. 50 m östlich der Kirche erfolgte dann im Jahre 1813/ 14 („Scheks"). Es war bis in das vorige Jahrhundert auf dem Lande geltender Grundsatz, die Toten um die Kirche herum oder zumindest möglichst nahe bei der Kirche zu begraben. Diese Sitte hat sich bis in unsere Zeit noch in der Bezeichnung „Kirchhof” für Friedhof erhalten.

Verfasst von Pfr. Peter Voß